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Willkommen in der Weltenschmiede

Donnerstag, 25. April 2013

Über das Schmieden von Welten II - Charakternamen

Beim letzten Mal war die Namensgebung von Orten das Thema. Wir haben uns nach Willovwale begeben, nach Immerwacht und in das Tal der Letzten Ernte und ich habe versucht zu beantworten, warum Namen gleich nochmal so verdammt wichtig sind. Im zweiten und vorerst letzten Teil von Über das Schmieden von Welten will ich einen genaueren Blick auf die Namensgebung von Charakteren werfen und warum sie nicht nur wichtig, sondern auch ein großartiges Mittel ist, der eigenen Welt Tiefe zu verleihen, ohne den Lesern seitenlange Infodumps zuzumuten.
Es beginnt mit einer Idee, vielleicht sogar mit einer ganzen Szene:
Ein Bauer sieht von der Feldarbeit auf, als er im Licht der untergehenden Sonne einen einsamen Wanderer erspäht. Seine erste Reaktion ist Furcht – das Land ist gefährlich, die Leute erzählen von Banditen, auch diesseits der Berge. Doch als der Mann näher kommt, sieht der Bauer, dass er zu gut gekleidet ist für einen Banditen. Eine lange Robe umhüllt seine Gestalt, die Stiefel sind fest und jedes Kleidungsstück ist mit Zeichen verziert, die der Bauer nicht lesen kann. Nicht, dass er sie lesen könnte, wenn sie in der Hohen Sprache geschrieben wären.
Als der Mann ihn schließlich erreicht, überwältigt Neugier seine Furcht und der Bauer sieht auf, fragt: „Wer seid Ihr, Herr? Wie lautet Euer Name?“
Der Wanderer lächelt. Seine Zähne sind weiß. „Du hast sicher von mir gehört“, antwortet er. „Mein Name ist …“
Und dann tut sich der Abgrund auf, nicht unter Bauer und Wanderer, sondern unter den Füßen des Autoren. Wie lautet der Name des mysteriösen Wanderers? 
Es sieht immerhin stark danach aus, dass er eine wichtige Rolle spielen wird, vielleicht ist er einer der Hauptcharaktere, gar der Hauptcharakter. Da will ein Name wohlüberlegt sein, schließlich dürfen Leser und Autor seiner 300 bis 700 Seiten lang nicht überdrüssig werden. Aber das ist nicht das einzige Problem, denn für Charakternamen gilt, was auch für die Namensgebung von Orten gilt (Na ja, „gelten sollte“): Sie müssen zu anderen Namen in ihrer Nähe passen, es sei denn, sie sind Teil einer anderen Kultur. Aber auch dann sollte der Autor stets im Hinterkopf behalten, dass irgendwo da draußen noch andere Menschen mit dem selben kulturellen Hintergrund herumlaufen, die besser nicht John, Natascha und Sun Wen heißen sollten, es sei denn man plant, eine Satire über Namensgebungskonventionen in Fantasy-Büchern zu schreiben.
Wenn ich schreibe, bevorzuge ich es, im Internet nach Auflistungen von Namen zu suchen, die aus einer Kultur stammen, wie ich sie mir in etwa für den Schauplatz der jeweiligen Geschichte vorstelle. Das können germanisch-stämmige, irische und gälische Namen sein, aber genau so gut indische oder arabische. Habe ich einen gefunden, der mir zusagt, verändere ich ihn in der Regel ein wenig, schließlich ist die Fantasy-Kultur nicht deckungsgleich mit der aus der echten Welt. Außerdem achte ich darauf, dass die Namen nicht Teil einer Namensgebungstradition sind, die von einer historischen Figur ausgeht, wenn diese Figur nicht auch in der Welt der Geschichte existiert. Abraten würde ich in jedem Fall von Namengeneratoren, wie man sie ohne großen Suchaufwand dutzendfach im Internet findet. Abseits von speziellen Generierungsoptionen, wie sie beispielsweise der Fantasy Name Generator von rinkworks.com bietet, und damit die Einschränkung auf spezielle Kulturräume ermöglicht, führt Zufallsgeneration nicht gerade zu einheitlicher Namensgebung.

Einheitliche Namensgebung sieht anders aus

Abgesehen davon: Namen sind schwierig, aber wenn man auf Generatoren angewiesen ist, stellt sich doch die Frage, wie weit es mit der Phantasie her ist.
Ein Nachtrag noch, zu der oben genannten Methode: Wenn man Echtwelt-Namen nutzt und/oder verändert, sollte man natürlich auch ein Auge auf die Bedeutung des Vorlagenamens haben. Das gilt besonders, wenn man sich sicher ist, den Namen schonmal gehört zu haben, oder es nur der Klang ist, der einem gefällt. Irgendwer hat einmal im Scherz angemerkt, dass irgendwo, in irgendeinem Fantasybuch eine Prinzessin Chlamydia auf ihren Ritter auf dem weißen Ross wartet. Solche unvorteilhaften Namen lassen sich gerade heute leicht vermeiden: vor der Verwendung einfach mal bei Google eingeben.

Gerade Fantasy leidet aber unter einer weiteren Namensgebungstradition: Jeder, der schonmal einem Elfen namens Alurifandiliesornel oder dem Drachen Su'ge'rakk'ag'han begegnet ist, darf jetzt die Hand heben.
Ja, Fantasy darf die Grenzen des Gewöhnlichen sprengen, soll das sogar tun. Aber ein Autor sollte auch an seine Leser denken, ebenso wie an die Arbeit, die er hat, oder die Unterbrechungen im Schreibfluss, die immer dann auftauchen, wenn er siebzehn Seiten zurück blättern oder sein Notizbuch hervorkramen muss um nachzusehen, wie dieser verfluchte schwarze Drache doch gleich noch hieß. Ich gehe aber jede Wette ein, dass mehr Leser bereit sind, ein Buch zu lesen, dessen Charaktere fremdartige, aber lesbare Namen besitzen. Besonders, wenn es sich nicht nur um eine Handvoll Charaktere handelt, sondern sämtliche Namen in einem Buch nicht unter sechs Silben bleiben. Und dann ist da noch die Sache mit den Apostrophen: Wie zur Hölle spricht man sie aus? Leser und Autor mögen sie vielleicht nur lesen, aber irgendwer in der dargestellten Welt muss sie auch mal aussprechen. Überhaupt, welche Bedeutung haben die Apostrophe? Auslassungen?  Su'ge'rakk'ag'han schütze uns!
Damit zusammenhängend möchte ich auch noch kurz auf Spitznamen eingehen. Gerade bei langen Namen bieten sie sich an - auch wenn ich vorschlagen würde, einen Namen eher direkt zu kürzen, anstatt ihn durch Spitznamen zu entschärfen - aber auch hier sollte der Autor Vorsicht walten lassen. Zu schnell wird aus einem Spitznamen der sprichwörtliche rostige Nagel an dem das Auge hängen bleibt, weil er endgültig aus der Kultur der dargestellten Welt herausfällt. Oder er wirkt einfach albern.

Cromsindwuir, Schlächter der Blutebenen, Sohn des Roten Königs - seine Freunde nennen ihn Cindy - Quelle: Blizzard Entertainment

Was absolut vermieden werden sollte, sind Namen, die allzu deutlich Abwandlungen des Namens (oder Nicknames) des Autoren / der Autorin sind. In veröffentlichten Büchern begegnet man dem eher selten, aber gerade in der Amateurfantasy postet schonmal Anna eine Geschichte über Aenea, Königin der Welt. Egal wie die Qualität der Geschichte sich letztlich erweisen sollte, riecht damit oftmals schon die Überschrift verdächtig nach Mary Sue. Die Autorin / der Autor wird es in diesem Fall schwer haben, Leser davon zu überzeugen, dass sie / er und der Protagonist zwei völlig unterschiedliche Individuen sind.

Zuletzt sollten Namen auch immer zur Atmosphäre der Geschichte passen oder ihr zumindest nicht völlig zuwider laufen. Freddy macht sich in einer lovecraftschen Horror-Fantasy ebenso schlecht wie Fritz, Knochenkönig der Gefallenen Länder, oder Bluttrinker, der quirlige Barde.

Namen, lautet auch heute wieder das Fazit, können Geschichte(n) schreiben - oder sie im ersten Satz, im ersten Kapitel, nach drei Seiten, versenken. Hinzu kommt, dass Namen soviel mehr sein können als bloße Klebezettel, die uns Protagonist X von Charakter Y unterscheiden lassen können. Auch Personennamen ermöglichen eine Vertiefung der Handlungswelt, indem sie uns Ausblicke auf Kultur und Geschichte ermöglichen. Warum heißen so viele Männer in Immerwacht Baradan oder Baerdan? Na, weil der König, der bis zuletzt Widerstand gegen die Heere des Reiches von Drachenstein leistete, Baerardan hieß. Die kleinen Veränderungen sind hingegen Anzeichen, dass seitdem viel Zeit vergangen ist. Was sagt es uns, wenn die Frauen einer Generation Guinne oder Vhinne heißen, ihre Enkelinnen aber Kelia oder Maridia? Hat hier etwa eine neue Kultur dem Denken der Menschen ihren Stempel aufgedrückt? Eine neue Religion möglicherweise, in der Kelia die Tochter des Gottes war, der die Welt geschaffen haben soll, und Maridia eine Märtyrerin? Und was sagt es über einen Charakter aus, der in einer neuen Umgebung plötzlich nicht mehr bei seinem Geburtsnamen Varaidon gerufen wird, sondern Vardan, weil die Menschen in seiner neuen Heimat Probleme mit der Aussprache eines fremden Namens haben?

Auch auf die Gefahr hin, wie der George-R.R.-Martin-Fanclub zu klingen: auch was Namen angeht, versteht er sein Handwerk. Oft ist nachvollziehbar, wer mit wem verwandt ist, alleine auf Basis der Vornamen, oder ob ein Charakter aus Westeros stammt oder von jenseits des Meeres.
Auch Guy Gavriel Kay achtet auf Einheitlichkeit in der Namensgebung, hat aber natürlich auch den Vorteil, dass er echte Namen verwenden kann. In seinem Erstlingswerk - der Fionovar-Trilogie - wirkt das alles allerdings noch nicht so rund, was auch am, von der Echtwelt völlig entrückten Setting liegen kann, das stark tolkienesk angehaucht ist.
Mein Favorit ist aber sicherlich Glen Cooks Black Company-Saga. In der multikulturellen Einheit der Söldnertruppe passen die Namen stets zur Herkunft der Charaktere, was besonders in den späteren Büchern interessant zu sehen ist, die in einem pseudo-indischen Dschungelsetting spielen. Die meisten von Cooks Charakteren tragen jedoch Spitznamen und hier überzeugt Cook wirklich, was Namensgebung betrifft: in der Regel gibt sich kein Mitglied der Söldnerkompanie seinen Spitznamen selbst, was sich in Namen wie "Croaker" (Der Doktor, aber auch: Der Miesmacher), Big Bucket oder Sleepy niederschlägt. Andere Charaktere sind schon deshalb ehrfurchtgebietend, weil sie aus diesem Schema rausfallen. Raven möchte man nicht im Dunkeln begegnen, Silent trägt seinen Spitznamen zu recht und Lady .... nun, Lady ist ein Fall für sich.

Glen Cook - Chronicles of the Black Company - Copyright TOR Books
 (Generell möchte ich die Black Company hier jedem ans Herz legen, der ambivalente Charaktere, dunkle Magie und schwarzen Humor mag.)  

Samstag, 20. April 2013

Melissa Thomas - Teaching Fantasy

Hier mal ein akademischer Artikel über die mögliche Rolle und den Nutzen von Fantasy im Unterricht. Melissa Thomas diskutiert übergreifende Themen in der Fantasy: Geschlechterrollen, Sozialkommentar und wiederkehrende Mythen.
Mit sechs Seiten nicht allzu viel zu lesen, aber definitiv interessant. (Leider?) nur auf Englisch.

Freitag, 19. April 2013

Über das Schmieden von Welten I - Ortsnamen

Was ist der größte Unterschied zwischen Fantasy und anderen Genres? Magie, epische Abenteuer, fantastische Kreaturen? Sicherlich alles Anwärter auf den ersten Platz, aber im Grunde kann es nur eine Antwort geben: Fantasy lebt von den Welten und Orten, an denen die Handlung spielt, von Königreichen und Imperien, über verwunschene Wälder, gigantische Berge und tödliche Sümpfe, hin zu den Ruinen Derer-Die-Vor-Uns-Waren, zu den Küsten wilder Länder in denen Schwert und Zauberei herrschen.
Die Welt ist in der Fantasy oft der heimliche Hauptdarsteller, sie zieht den Leser in ihren Bann und lässt ihn die Wirklichkeit vergessen - wenn der Autor sein Handwerk versteht. Wenn nicht, erinnert sie ihn an die Grenzen der Fiktion und das kleinste Detail reißt uns mit scharfem Ruck aus dem Buch.
Neben Charakteren und Handlung ist deshalb die Schaffung einer in sich stimmigen Welt die Hauptaufgabe von Fantasy-Autorinnen und -Autoren. Dass diese Aufgabe mehr Stolpersteine als alles andere besitzt, ist nicht schwer vorstellbar, wird aber zu oft zugunsten sekundärer Merkmale vergessen: Was macht es schon, dass das kleine Dörfchen Willowvale zwischen den Eisenbergen, südlich von Immerwacht, Garnisonsstadt des Reiches von Drachenstein irgendwie fehl am Platze wirkt? Der Name ist schließlich cool, sollte das nicht Vorrang vor allen anderen Faktoren genießen? Was macht es schon, dass die drei jungen aus Willowvale, die wir auf ihrem Weg zu Heldentum, magischer Macht und Königsthron begleiten, Paul, Peter und Fariendien heißen? Oder, dass die drei ohne Probleme mit den Einwohnern des Reiches von Drachenstein kommunizieren können, obwohl Willovwale vor dreihundert Jahren durch den Fluch eines Erzmagiers vom Rest der Welt abgeschnitten wurde? Wir schreiben schließlich keinen historischen Roman, sondern Fantasy, das Genre, in dem man eh machen kann, was man will!
Es wird niemanden verwundern, der Stigma Fantasy gelesen hat, dass ich mit dieser Denkweise nicht viel anfangen kann. Ja, Fantasy ist - der Name sagt es - bis zu einem gewissen Grad immer fantastisch. Ja, es sind keine realen Orte, von denen der Autor berichtet. sondern Fragmente seiner Fiktion. Aber all das sind keine Gründe, die Welt, die den Leser überzeugen soll, unbedacht zusammen zu stoppeln.
In den nächsten Beiträgen möchte unter Zuhilfenahme von kurzen Beispielen darstellen, was meiner Meinung nach die "Dos and Don'ts" des Weltenschmiedens sind. Hauptaugenmerk liegt dabei auf Namensgebung. Beim ersten Mal geht es um die Namen von Orten, nächstes Mal dann um die Namen von Charakteren. Bevor es losgeht möchte ich hinzufügen, dass keine meiner Beobachtungen gegen diesen oder jenen Autoren als Person gemeint ist und es sich dabei alleine um meine Meinung handelt.

Mittelerde: DIE durchdachte Welt - Quelle: wikipedia.com
Kaum etwas bereitet mir gleichzeitig soviel Spaß und Kopfzerbrechen, wie das Ausdenken von Namen. Die zentralen Fragen sind dabei stets: warum dieser Name? Was sagt der Name über den Charakter/Ort aus? Hat er eine Bedeutung und wenn ja, woher stammt sie? Welche Grenzen erlegt ein Name wie das Tal der Letzten Ernte der Welt auf? Und wenn wir dabei sind: Wohin bewegen sich diese Grenzen, wenn keine fünf Meilen entfernt die Stadt Uiedine liegt?
Ein guter Name ist ein großartiger Ausgangsort für die Erschaffung einer Welt oder Stadt, für mich zumindest meist weitaus ergiebiger als ein Bild, ob es nun physisch in der Welt existiert oder hinter den Schläfen entstanden ist. Ich denke weder, dass ich der einzige bin, der so arbeitet, noch halte ich es für eine schlechte Ausgangsposition - aber wie so viele Kleinigkeiten müssen auch hier beim Weltenschmieden einige Dinge beachtet werden.
Denn egal wie viele Routen für die Erschaffung einer fantastischen Welt ein Name auch bietet, er verschließt womöglich noch mehr. Um bei den eingangs genannten Beispielen zu bleiben: Willowvale sticht deutlich aus den anderen Namen hervor, weil es der einzige englische Name ist. Das ist an sich keine Katastrophe, wirft aber Fragen auf. Warum tragen die anderen Orte deutsche Namen? Natürlich kann es dafür eine Erklärung geben - Willowvale wurde gegründet, bevor der Rest des Landes unter die Herrschaft des Reiches von Drachenstein fiel. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit (vielleicht wegen des erwähnten Fluchs) hat sich der Einfluss des Reiches nie auf das kleine Dorf ausgedehnt, das so seine alte Identität behalten konnte, anders als Immerwacht, dessen wahrer Name längst in den Wirbeln der Zeit verloren gegangen ist - meistens scheinen aber nicht so viele Gedanken eingeflossen zu sein. Vielleicht ging dem eigentlichen Schreiben eine Karte voraus oder ein Weltprofil, das - ähnlich wie ein Charakterprofil - all die Dinge enthält, von denen der Autor begeistert war, das aber keine Zusammenhänge vermitteln kann, wie sie der Schreibprozess zum Vorschein bringt. Oder aber der Autor hatte Probleme, sich von all seinen "coolen" Ideen zu trennen. Oder es wird direkt die Rule-of-Cool angeführt. Der Name Willowvale hat dem angehenden Fantasy-Megastar bloß gefallen, aber dann wandte sich seine Aufmerksamkeit dem Süden auf seiner Karte zu und Drachenstein war mit einem Mal einfach da.
Das Problem ist aber, dass eine Fantasy-Welt - gerade weil sie fiktiv ist - sich deutlich mehr anstrengen muss, den Leser gefangen zu nehmen. Während wir akzeptieren können, dass auf einer Karte der echten Welt Orte nebeneinander liegen können, die aus radikal verschiedenen Kulturkreisen stammen - man muss sich nur mal in Südafrika umsehen -, ist Fantasyland darauf angewiesen, ein stimmiges Gesamtbild zu liefern. Sonst wird sich der Leser allzu schnell bewusst, sich bloß im schriftstellerischen Gegenstück von Pappkulisse und Lightshow zu bewegen. Entweder kann dies über gute Erklärungen geschehen oder indem Autoren/innen mehr als nur einen flüchtigen Gedanken darauf verwenden, wie ihre Städte und Länder, Burgen und Schlösser, giftigen Sümpfe und endlosen Wüsten heißen.

Westeros - Das Lied von Eis und Feuer - Quelle: de.gameofthrones.wikia.com
Beim Weltenbauen (oder -schmieden) darf nicht vergessen werden, dass Namen immer Produkte von Kultur sind und sich in der Regel entlang geschichtlicher Ereignisse entwickeln. Sie entstehen nicht im luftleeren Raum. Orte, die dem gleichen Herrschaftsbereich angehören, werden ähnliche Namen tragen, wohingegen eine eroberte Stadt womöglich von den neuen Herrschern einen neuen Namen verpasst bekommt. Ihre Bewohner verwenden vielleicht immer noch den alten und sprechen noch von Uiedine, obwohl die Stadt nach der Schlacht im Tal der Letzten Ernte längst als Königsfall in der ganzen Welt bekannt ist.
Im Idealfall können Namen also im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte schreiben. Sie können die Lücken ausfüllen, die die eigentliche Handlung lässt. Aber wenn man keine Sorgfalt walten lässt, sind sie es mitunter, die die spannendste Handlung in Einzelteile zersägen und Fantasy wieder als das darstehen lassen, was das Genre nicht sein sollte.

Wie man es richtig macht, zeigt Das Lied von Eis und Feuer. Man mag von der aktuellen Übersetzung halten, was man will (ich halte sie für stimmig und notwendig), aber sie macht deutlich, wie wohlüberlegte Namensgebung einer Welt Charakter verleiht. In Westeros, dem Kontinent, auf dem ein Großteil der Handlung stattfindet, gibt es Städte wie Königsmund (so genannt, weil dort einst das Geschlecht der Tagaryen landete, die Westeros lange Zeit beherrschten), Festungen wie Harenhall (benannt nach ihrem Erbauer) und Casterlystein (benannt nach dem Geschlecht, dass die Burg einst errichtete). Die Namen reflektieren zweierlei: zum einen, die geeinte Natur des Landes, die aber unter den großen Häusern zersplittert ist, wenn man näher hinschaut; zum anderen grenzt Martin Westeros so von der, weiter östlich gelegenen Landmasse ab, auf der andere Namen vorherrschen: Astapor, Vaes Dothrak oder Qarth, die wiederum ihrerseits einer internen Logik zu folgen scheinen.
GuyGavriel Kay hat es in seinen Büchern etwas leichter. Da er seine Welten stets auf bestimmten Gegenden unserer Welt basieren lässt, wie etwa Byzanz oder die italienischen Stadtstaaten des Spätmittelalters. Dadurch ergibt sich zwangsläufig eine interne Logik in der Namensgebung. Am deutlichsten ist das in Tigana, Kays Epos über Revolution und die Macht der Erinnerung, zu erkennen: Senzio, Chiara, Corte, Certando – alles Namen, die zueinander passen, aber genug Unterschiede besitzen um die zersplitterte interne Politik der Halbinsel widerzuspiegeln, auf der eine Gruppe Ausgestoßener die Vertreibung der Tyrannen plant, die die Herrschaft an sich gerissen haben.
Tigana und umliegende Provinzen - Quelle: daelstorm.thegraveyard.org
Was passieren kann, wenn man Namen nach dem Was-Gerade-In-Den-Sinn-Kommt-Prinzip auf eine Karte klatscht, illustriert dagegen ein Blick auf die Innenseite von Trudi Canavans Die Gilde der Schwarzen Magier Trilogie: da liegt die Hauptstadt Imardin der Stadt Rastfähre an der Tanjin-See gegenüber, im Osten liegt hingegen die Corres-See. Entlang derselben langen Straße finden sich die Städte Kendil, Calia und Kaltbrücken. Die Grenzen des Landes werden von drei Festungen bewacht: Das Graue Fort, Fort Corres und Das Fort. An der Küste (und ebenfalls an einer Straße) gibt es die Städte Fennin, Agen und Sheel. So etwas wie interne Kohärenz gibt es nicht einmal ansatzweise.

Trudi Canavans Kyralia - Quelle: kyralia.iowoi.org


Freitag, 12. April 2013

In eigener Sache ... oder so

Der Artikel für diese Woche wird noch ein wenig auf sich warten lassen, momentan ist außerhalb von Blogosphäre und Internet einfach zu viel zu tun. Für die Zukunft ist mein Ziel aber, mindestens einmal pro Woche einen Eintrag online zu stellen, idealerweise donnerstags.

Da ich ja noch nicht so lange dabei bin, hat es mich besonders gefreut, als ich gelesen habe, dass bereits auf meinen Artikel verlinkt wurde. Wenig überrascht war ich allerdings, als ich festgestellt habe, dass ich nicht der einzige bin, der sich um den Zustand unser aller Lieblingsgenres Sorgen macht.

In diesem Sinne: bis demnächst.

Donnerstag, 4. April 2013

Buchvorstellung I - Guy Gavriel Kay: Sailing to Sarantium

Quelle: www.brightweavings.com

Als der Mosaikmacher Crispin vom Kaiser persönlich nach Sarantium gerufen wird, ist es für ihn eine Chance, seine schmerzliche Vergangenheit hinter sich zu erlassen. Widerwillig begibt er sich auf den Weg in die große Stadt um bei der Fertigstellung des neuen Tempels zu helfen, den der Kaiser als sein Erbe an die Welt erbauen lässt. Doch um nach Sarantium zu gelangen, muss Crispin gefährliche Wildnis durchqueren, in der sich, abseits der Straßen des Kaiserreiches, Glaube und Aberglaube in dunklen Wäldern vermischen und Crispins Leben für immer verändern werden.

Bereits in meinem vergangenen Post habe ich Guy Gavriel Kays zwei Bücher über den Mosaikmacher Crispin erwähnt (vier Bücher in der deutschen Übersetzung). Heute will ich versuchen, einen genaueren Einblick in dieses kleine große Meisterwerk zu bieten, und warum es für mich eines der herausragenden Beispiele für die Vielfältigkeit und Tiefe ist, die Fantasy erreichen kann, wenn der Autor weiß, was er tut.

Guy Gavriel Kay ist Historiker, was man seinen Büchern stets anmerkt. 1974 hat er bei der Editierung der Geschichten für J.R.R. Tolkiens Das Simarilion geholfen, 1984 veröffentlichte er mit seiner dreiteiligen FionovarTapestry (deutscher Titel: Die Herren von Fionovar) sein eigenes High-Fantasy-Werk, das zwar beeindruckend in seiner, von keltischen Sagen inspirierten, magischen Narrative ist, aber in meinen Augen eines seiner schwächsten Werke ist.
Nach Abschluss der Fionovar-Trilogie veröffentlichte er 1990 Tigana, eine Geschichte über Intrigen und Kleinstaaterei in einer fiktiven Version des mittelalterlichen Italiens. Bis heute sind all seine Bücher von diesem Kunstgriff beherrscht: Kays Welten erscheinen stets wie Echos unserer eigenen Welt, wie eine Spiegelung in unruhigem Wasser. Magie steht dabei selten im Vordergrund, ist aber stets ein Teil der Welt oder auch der Handlung. Vor dem Hintergrund von quasi-Italien, quasi-China oder – im Falle von der Geschichte von Crispin, dem Mosaikmacher – quasi-Byzanz, erzählt Kay ergreifende Geschichten über Menschen, die vor große Aufgaben gestellt werden, von Menschlichkeit in Zeiten großen Umschwungs oder von der Kraft epochaler Kräfte wie Glaube, Intellekt und Kunst.

Sailing to Sarantium erschien zuerst 1998 in den USA. In Deutschland ist es seit 2001 in zwei Bänden erhältlich, die die wenig phantasievollen Titel Das Komplott und Das Mosaik tragen. Leider kommt man an beide Bände nur noch über Umwege. Die deutsche Übersetzung ist in Ordnung, wenn auch nicht großartig, wer des Englischen mächtig ist, sollte daher zur Originalausgabe greifen – schon, weil das Cover der 2011er Ausgabe von Harpercollins (s.o.) ein kleines Meisterwerk ist.
Das Buch ist der erste von zwei Teilen, die Fortsetzung Lord of Emperors (dt.: „Der Neunte Wagenlenker“ und „Herr aller Herrscher“, beide 2002) schließt die Geschichte auf grandiose Weise ab.

Über den Inhalt möchte ich an dieser Stelle nicht allzu viel verraten. Gesagt sei nur, dass von Reise durch die Wildnis Sauradias und seine Zusammentreffen mit treuen Gefährten und großen Gefahren geprägt ist und von der überzeugenden Menschlichkeit des Protagonisten. Crispin ist ein Zweifler, ein Mann, der viel verloren hat und vieles erst wieder in sich entdecken muss, aber er ist nie wehleidig, was besonders deutlich wird, wenn es um sein Handwerk geht. Dieser Aspekt des Buches hat mich vermutlich am stärksten beeindruckt, selbst beim erneuten Lesen packt er mich jedes Mal aufs Neue: Crispin sieht die Welt mit den Augen eines Mosaikmachers, ohne dass es jemals aufgesetzt wird. So regt ein Sonnenaufgang über einer taugetränkten Wiese ihn an, sich zu fragen, wie er diesen Effekt mit kleinen Steinen und Glasstücken nachstellen kann. Ermöglicht wird dies durch Kays Fingerspitzengefühl bei Recherche und Einbindung von geschichtlichem und handwerklichen Wissen, das nie in Angeberei ausartet - auch wenn die Wagenrennen im zweiten Band der Originalfassung für manche Leser sicherlich so wirken können.


Quelle: www.brightweavings.com

Die Reise an sich ist zudem mehr als nur ein Mittel zum Zweck um vom A seiner Heimat zum B Sarantiums zu kommen. Hier wird Crispins Innerstes für den Leser offen gelegt, sei es in Interaktionen mit anderen Charakteren oder durch die Erfahrungen, die er durchleidet.
Während Crispin als Charakter für mich der große Star des Buches ist, geht der Preis für den besten Nebendarsteller – neben der Riege großartiger Nebencharaktere – an die Welt, der Kay mit kleinen Details Leben einhaucht, ohne je Beschreibungen zum Selbstzweck verkommen zu lassen. Hier werden Leser und Leserinnen keine ausschweifenden Kamerafahrten über die Straße nach Sarantium erleben, doch wenn die Tore der Stadt schließlich erreicht sind, hat man ein Bild von der wilden Landschaft, den kleinen Dörfern mit ihrer Einfachheit und ihren Schatten und den Urwäldern, in denen alte Macht seit Jahrhunderten residiert, wie sie ein Film nicht besser hätte vermitteln können.
Hinzu kommt der Humor, der mal deutlicher, mal subtiler die Ereignisse der Handlung begleitet. Ohne zu viel zu verraten, seit gesagt, dass ich mich auch beim wiederholten Lesen noch immer köstlich über Crispins ersten Auftritt amüsiere.

Natürlich ist nicht alles perfekt, auch wenn Sailing to Sarantium ziemlich nah dran ist. Kays Erzählstimme wandert gerne mal fort von den Charakteren und gibt Ausblicke auf Ereignisse, die in der Zukunft oder außerhalb der Wahrnehmungsmöglichkeiten Crispins und seiner Begleiter liegen. Wem so etwas missfällt, dem sei aber gesagt, dass ich für gewöhnlich auch nichts damit anfangen kann. Im Falle dieses Buchs fallen diese minimalen Makel jedoch nicht ins Gewicht. Sailing to Sarantium hat trotz - oder vielleicht gerade wegen - dieser kleinen Unreinheiten einen Spitzenplatz in meiner Top Ten der besten Erzählungen und Bücher eingenommen.

Elfen und Orks wird man hier keine finden, die Magie hält sich – wie bereits erwähnt – stets im Hintergrund. Dafür bekommen Leser und Leserinnen die Chance, ein beinahe perfektes Leseerlebnis zu erfahren, mit glaubwürdigen Charakteren und einer stimmigen Welt, die hart, aber nicht ohne Gnade ist und deren Schönheit gerade im Angesicht der düstereren Passagen von bestechender Deutlichkeit ist. Darüber gesprenkelt findet sich ein Zuckerguss aus großartigen Themen, von Religion über Trauer und Macht, bis hin zu Vergebung, die Kay trotz ihrer Tragweite mit begnadeter Leichtigkeit angeht.

Sailing to Sarantium ist definitiv eines meiner absoluten Lieblingsbücher, wenn nicht sogar das Lieblingsbuch und ich kann es nur weiter empfehlen, in der Hoffnung, dass diesem Ausnahmeautor auch in Deutschland mehr Beachtung zuteil wird.

Titel: Sailing to Sarantium
Autor: Guy Gavriel Kay
Sprache: Englisch
ISBN-10: 045146351X
ISBN-13: 978-0451463517


oder:


Titel: Das Komplott
Autor: Guy Gavriel Kay
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3453188063
ISBN-13: 978-3453188068

und:


Titel: Das Mosaik
Autor: Guy Gavriel Kay
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 345318811X
ISBN-13: 978-3453188112