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Willkommen in der Weltenschmiede

Freitag, 19. April 2013

Über das Schmieden von Welten I - Ortsnamen

Was ist der größte Unterschied zwischen Fantasy und anderen Genres? Magie, epische Abenteuer, fantastische Kreaturen? Sicherlich alles Anwärter auf den ersten Platz, aber im Grunde kann es nur eine Antwort geben: Fantasy lebt von den Welten und Orten, an denen die Handlung spielt, von Königreichen und Imperien, über verwunschene Wälder, gigantische Berge und tödliche Sümpfe, hin zu den Ruinen Derer-Die-Vor-Uns-Waren, zu den Küsten wilder Länder in denen Schwert und Zauberei herrschen.
Die Welt ist in der Fantasy oft der heimliche Hauptdarsteller, sie zieht den Leser in ihren Bann und lässt ihn die Wirklichkeit vergessen - wenn der Autor sein Handwerk versteht. Wenn nicht, erinnert sie ihn an die Grenzen der Fiktion und das kleinste Detail reißt uns mit scharfem Ruck aus dem Buch.
Neben Charakteren und Handlung ist deshalb die Schaffung einer in sich stimmigen Welt die Hauptaufgabe von Fantasy-Autorinnen und -Autoren. Dass diese Aufgabe mehr Stolpersteine als alles andere besitzt, ist nicht schwer vorstellbar, wird aber zu oft zugunsten sekundärer Merkmale vergessen: Was macht es schon, dass das kleine Dörfchen Willowvale zwischen den Eisenbergen, südlich von Immerwacht, Garnisonsstadt des Reiches von Drachenstein irgendwie fehl am Platze wirkt? Der Name ist schließlich cool, sollte das nicht Vorrang vor allen anderen Faktoren genießen? Was macht es schon, dass die drei jungen aus Willowvale, die wir auf ihrem Weg zu Heldentum, magischer Macht und Königsthron begleiten, Paul, Peter und Fariendien heißen? Oder, dass die drei ohne Probleme mit den Einwohnern des Reiches von Drachenstein kommunizieren können, obwohl Willovwale vor dreihundert Jahren durch den Fluch eines Erzmagiers vom Rest der Welt abgeschnitten wurde? Wir schreiben schließlich keinen historischen Roman, sondern Fantasy, das Genre, in dem man eh machen kann, was man will!
Es wird niemanden verwundern, der Stigma Fantasy gelesen hat, dass ich mit dieser Denkweise nicht viel anfangen kann. Ja, Fantasy ist - der Name sagt es - bis zu einem gewissen Grad immer fantastisch. Ja, es sind keine realen Orte, von denen der Autor berichtet. sondern Fragmente seiner Fiktion. Aber all das sind keine Gründe, die Welt, die den Leser überzeugen soll, unbedacht zusammen zu stoppeln.
In den nächsten Beiträgen möchte unter Zuhilfenahme von kurzen Beispielen darstellen, was meiner Meinung nach die "Dos and Don'ts" des Weltenschmiedens sind. Hauptaugenmerk liegt dabei auf Namensgebung. Beim ersten Mal geht es um die Namen von Orten, nächstes Mal dann um die Namen von Charakteren. Bevor es losgeht möchte ich hinzufügen, dass keine meiner Beobachtungen gegen diesen oder jenen Autoren als Person gemeint ist und es sich dabei alleine um meine Meinung handelt.

Mittelerde: DIE durchdachte Welt - Quelle: wikipedia.com
Kaum etwas bereitet mir gleichzeitig soviel Spaß und Kopfzerbrechen, wie das Ausdenken von Namen. Die zentralen Fragen sind dabei stets: warum dieser Name? Was sagt der Name über den Charakter/Ort aus? Hat er eine Bedeutung und wenn ja, woher stammt sie? Welche Grenzen erlegt ein Name wie das Tal der Letzten Ernte der Welt auf? Und wenn wir dabei sind: Wohin bewegen sich diese Grenzen, wenn keine fünf Meilen entfernt die Stadt Uiedine liegt?
Ein guter Name ist ein großartiger Ausgangsort für die Erschaffung einer Welt oder Stadt, für mich zumindest meist weitaus ergiebiger als ein Bild, ob es nun physisch in der Welt existiert oder hinter den Schläfen entstanden ist. Ich denke weder, dass ich der einzige bin, der so arbeitet, noch halte ich es für eine schlechte Ausgangsposition - aber wie so viele Kleinigkeiten müssen auch hier beim Weltenschmieden einige Dinge beachtet werden.
Denn egal wie viele Routen für die Erschaffung einer fantastischen Welt ein Name auch bietet, er verschließt womöglich noch mehr. Um bei den eingangs genannten Beispielen zu bleiben: Willowvale sticht deutlich aus den anderen Namen hervor, weil es der einzige englische Name ist. Das ist an sich keine Katastrophe, wirft aber Fragen auf. Warum tragen die anderen Orte deutsche Namen? Natürlich kann es dafür eine Erklärung geben - Willowvale wurde gegründet, bevor der Rest des Landes unter die Herrschaft des Reiches von Drachenstein fiel. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit (vielleicht wegen des erwähnten Fluchs) hat sich der Einfluss des Reiches nie auf das kleine Dorf ausgedehnt, das so seine alte Identität behalten konnte, anders als Immerwacht, dessen wahrer Name längst in den Wirbeln der Zeit verloren gegangen ist - meistens scheinen aber nicht so viele Gedanken eingeflossen zu sein. Vielleicht ging dem eigentlichen Schreiben eine Karte voraus oder ein Weltprofil, das - ähnlich wie ein Charakterprofil - all die Dinge enthält, von denen der Autor begeistert war, das aber keine Zusammenhänge vermitteln kann, wie sie der Schreibprozess zum Vorschein bringt. Oder aber der Autor hatte Probleme, sich von all seinen "coolen" Ideen zu trennen. Oder es wird direkt die Rule-of-Cool angeführt. Der Name Willowvale hat dem angehenden Fantasy-Megastar bloß gefallen, aber dann wandte sich seine Aufmerksamkeit dem Süden auf seiner Karte zu und Drachenstein war mit einem Mal einfach da.
Das Problem ist aber, dass eine Fantasy-Welt - gerade weil sie fiktiv ist - sich deutlich mehr anstrengen muss, den Leser gefangen zu nehmen. Während wir akzeptieren können, dass auf einer Karte der echten Welt Orte nebeneinander liegen können, die aus radikal verschiedenen Kulturkreisen stammen - man muss sich nur mal in Südafrika umsehen -, ist Fantasyland darauf angewiesen, ein stimmiges Gesamtbild zu liefern. Sonst wird sich der Leser allzu schnell bewusst, sich bloß im schriftstellerischen Gegenstück von Pappkulisse und Lightshow zu bewegen. Entweder kann dies über gute Erklärungen geschehen oder indem Autoren/innen mehr als nur einen flüchtigen Gedanken darauf verwenden, wie ihre Städte und Länder, Burgen und Schlösser, giftigen Sümpfe und endlosen Wüsten heißen.

Westeros - Das Lied von Eis und Feuer - Quelle: de.gameofthrones.wikia.com
Beim Weltenbauen (oder -schmieden) darf nicht vergessen werden, dass Namen immer Produkte von Kultur sind und sich in der Regel entlang geschichtlicher Ereignisse entwickeln. Sie entstehen nicht im luftleeren Raum. Orte, die dem gleichen Herrschaftsbereich angehören, werden ähnliche Namen tragen, wohingegen eine eroberte Stadt womöglich von den neuen Herrschern einen neuen Namen verpasst bekommt. Ihre Bewohner verwenden vielleicht immer noch den alten und sprechen noch von Uiedine, obwohl die Stadt nach der Schlacht im Tal der Letzten Ernte längst als Königsfall in der ganzen Welt bekannt ist.
Im Idealfall können Namen also im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte schreiben. Sie können die Lücken ausfüllen, die die eigentliche Handlung lässt. Aber wenn man keine Sorgfalt walten lässt, sind sie es mitunter, die die spannendste Handlung in Einzelteile zersägen und Fantasy wieder als das darstehen lassen, was das Genre nicht sein sollte.

Wie man es richtig macht, zeigt Das Lied von Eis und Feuer. Man mag von der aktuellen Übersetzung halten, was man will (ich halte sie für stimmig und notwendig), aber sie macht deutlich, wie wohlüberlegte Namensgebung einer Welt Charakter verleiht. In Westeros, dem Kontinent, auf dem ein Großteil der Handlung stattfindet, gibt es Städte wie Königsmund (so genannt, weil dort einst das Geschlecht der Tagaryen landete, die Westeros lange Zeit beherrschten), Festungen wie Harenhall (benannt nach ihrem Erbauer) und Casterlystein (benannt nach dem Geschlecht, dass die Burg einst errichtete). Die Namen reflektieren zweierlei: zum einen, die geeinte Natur des Landes, die aber unter den großen Häusern zersplittert ist, wenn man näher hinschaut; zum anderen grenzt Martin Westeros so von der, weiter östlich gelegenen Landmasse ab, auf der andere Namen vorherrschen: Astapor, Vaes Dothrak oder Qarth, die wiederum ihrerseits einer internen Logik zu folgen scheinen.
GuyGavriel Kay hat es in seinen Büchern etwas leichter. Da er seine Welten stets auf bestimmten Gegenden unserer Welt basieren lässt, wie etwa Byzanz oder die italienischen Stadtstaaten des Spätmittelalters. Dadurch ergibt sich zwangsläufig eine interne Logik in der Namensgebung. Am deutlichsten ist das in Tigana, Kays Epos über Revolution und die Macht der Erinnerung, zu erkennen: Senzio, Chiara, Corte, Certando – alles Namen, die zueinander passen, aber genug Unterschiede besitzen um die zersplitterte interne Politik der Halbinsel widerzuspiegeln, auf der eine Gruppe Ausgestoßener die Vertreibung der Tyrannen plant, die die Herrschaft an sich gerissen haben.
Tigana und umliegende Provinzen - Quelle: daelstorm.thegraveyard.org
Was passieren kann, wenn man Namen nach dem Was-Gerade-In-Den-Sinn-Kommt-Prinzip auf eine Karte klatscht, illustriert dagegen ein Blick auf die Innenseite von Trudi Canavans Die Gilde der Schwarzen Magier Trilogie: da liegt die Hauptstadt Imardin der Stadt Rastfähre an der Tanjin-See gegenüber, im Osten liegt hingegen die Corres-See. Entlang derselben langen Straße finden sich die Städte Kendil, Calia und Kaltbrücken. Die Grenzen des Landes werden von drei Festungen bewacht: Das Graue Fort, Fort Corres und Das Fort. An der Küste (und ebenfalls an einer Straße) gibt es die Städte Fennin, Agen und Sheel. So etwas wie interne Kohärenz gibt es nicht einmal ansatzweise.

Trudi Canavans Kyralia - Quelle: kyralia.iowoi.org


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