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Willkommen in der Weltenschmiede

Samstag, 28. September 2013

Über das Schreiben III - Botschaft & Intention

Hallo Zusammen!
Erst einmal möchte ich vielmals um Entschuldigung bitten, dass es hier so lange so still war. Mich gibt es noch, aber die Prüfungen, die ich ja vor einiger Zeit mal erwähnt habe, haben mich noch stärker in Beschlag genommen, als ich ohnehin befürchtet hatte. Deshalb habe ich nicht einmal meinen zweiwöchigen Veröffentlichungsplan für diesen Blog einhalten können.

Nachdem jetzt alles durchgestanden ist und das Semester noch zwei bis drei Wochen auf sich warten lässt, möchte ich wieder etwas Leben in die Weltenschmiede bringen. Ich kann noch nicht garantieren, dass jede Woche etwas zu lesen, gibt, aber monatelange Funktstille versuche ich zu vermeiden.

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Heute soll sich alles um Intention bzw. Botschaft einer Geschichte drehen. Bevor jetzt alle die Augen verdrehen, die sich in den Deutschunterricht zurückversetzt sehen: keine Sorge, wir sind weit entfernt vom Blechtrommel-Niveau und werden uns sicherlich auch nicht mit der Symbolik in Der Tod in Venedig herumschlagen.

"Was möchte uns der Autor damit sagen?"
In meiner Schulzeit habe ich diese Frage gehasst. Ich mochte sie nicht bloß nicht, sondern hatte eine starke, tiefsitzende Abneigung gegen sie, inklusive Augenverdrehen und langer Seufzer. Das hing nicht damit zusammen, dass mir Textinterpretationen übermäßige Probleme gemacht haben. Ich war nur schon damals der Meinung, dass eine gute Geschichte im Zentrum jeder Erzählung stehen sollte und eine Botschaft alles andere als ein Gütekriterium sein sollte.
Wer sich primär auf die Botschaft konzentriert, dessen Charaktere sind Sklaven der Intention, dessen Plot nimmt unglaubwürdige Handlungen und dessen Sprache bleibt oftmals oberflächlich und technisch. Der Vorleser lässt grüßen.
Zu dieser Meinung stehe ich bis heute. Größtenteils. Ich bin nach wie vor der felsenfesten Überzeugung, dass jedes Buch an Handlung und Charakteren gemessen werden sollte, nicht an Zaunpfahlweisheiten über die Natur der Welt, des Menschen oder die Rechtmäßigkeit dieser oder jener religiösen Überzeung. Aber sagen, dass eine wirklich gute Geschichte ohne tieferen Sinn daher kommt, würde ich heute nicht mehr.
Eine gute Geschichte - egal ob Roman oder Kurzgeschichte - sollte es schaffen, den Leser mit ihrer Handlung zu packen, mit ihren Charakteren zu verzaubern und in ihre Welt zu entführen. Eine hervorragende Geschichte sollte all dies tun und noch mehr: Sie bietet dem Leser die Möglichkeit, über die Ebene der eigentlichen Handlung hinauszugehen, Schlüsse und Verbindungen zu ziehen und Symbolik zu entschlüsseln, bis sich hinter dem eigentlichen Text etwas auftut, das möglicherweise allem eine ganz neue Perspektive verleiht.

Weil ich an all dies glaube, bin ich der festen Überzeugung, dass Pratchetts Die Nachtwächter "literarisch wertvoller" (wenn es sowas gibt) ist, als etwa Hauptmanns Bahnwärter ThielPratchett versteht es, in einem amüsanten Buch über Zeitreisen und eine fantastische Welt Beobachtungen über die Natur des Menschen einfließen zu lassen, die bis in den Kern erschüttern können. Aber man kann seine Bücher auch zur Unterhaltung lesen und sich an Sprache und Humor erfreuen.
Fantasy hat damit Probleme. Das ist natürlich nicht per se schlecht. Ich liebe die Hexer-Bücher, aber eine unterliegende Thematik wird sich da nicht finden, außer vielleicht der Erkenntnis, dass Menschen mitunter böse und blöde sein können. Und Glen Cooks Black Company wird sicherlich keine Philosophiepreise gewinnen oder Literaturstudenten in den kommenden Jahrhunderten beschäftigen (es sei denn es kommt zu einer sehr wählerischen Apokalypse, die nur meine Bücherregale überleben).
Eine Intention, Botschaft oder zentrale Thematik kann aber sehr dazu beitragen, die Handlung zu verdichten oder Symbolik mit mehr als nur Schauwerten zu versehen. Guy Gavriel Kays Mosaic-Duologie ist eines der perfekten Beispiele dafür - aber im Grunde könnten hier all seine Bücher als Anschauungsmaterial dienen.

Beim ersten Lesen weiß Kay, den Leser mit seiner Geschichte um Kunst, Politik und Verlust zu fesseln. Wie sehr, habe ich ja bereits anzudeuten versucht. Erst beim zweiten Lesen wird allerdings klar, wie stark die zentrale Prämisse - Kunst als Erbe, bzw. die Frage nach den Möglichkeiten des Menschen, nachfolgenden Generationen etwas von sich mitzugeben - selbst mit den Nebensträngen der Handlung verwoben sind. Symbole für zyklische Wiedergeburt, Ewigkeit, aber auch Verlust und Trauer tauchen in verschiedenen Formen überall in den Büchern auf und sie verknüpfen die Charaktere, Handlungsorte und Ereignisse stärker als ein Buch ohne übergreifende Thematik es könnte.
Ich würde soweit gehen, zu sagen, dass selbst George R.R. Martins Das Lied von Eis und Feuer zusätzlich zu seiner komplexen, verstrickten Handlung noch eine andere Ebene besitzt. Loyalität und die Frage nach ihrem Wert in einer Welt, die sich langsam aber sicher von den Grundregeln löst, die ihre Gesellschaft über Jahrhunderte etabliert hat, sind wiederkehrende Ideen und nicht selten Antrieb für Nebenhandlungen oder neue Charaktere. In einem so umfangreichen Werk wie dem Lied können solche übergreifenden Themenkomplexe natürlich besonders hilfreich sein, Gemeinsamkeiten hervorzuheben und einen Plot, der sich auf viele Charaktere erstreckt - und mit jedem Band unfokussierter erscheinen mag - entlang dieser zu entwickeln. Wer Martin vorwirft (und damit vielleicht nicht unrecht hätte), dass er seinen Haupthandlung aus den Augen verliert, der hat noch nicht den roten Faden bemerkt, der sich durch seine Bücher zieht.

Vielleicht sind Intention und Botschaft die falschen Wörter. Ich habe zuvor Thematik erwähnt und halte es für recht passend. Wie Stephen King sagt: Die richtig guten Bücher funktionieren auf mehr als nur einer Ebene.
Aber nicht nur für Leser ist ein zentrales Thema interessant, auch für Autoren kann es hilfreich sein. Es kann die Rettungsleine sein, anhand der man sich durch zunehmend verschachteltere Plots hangelt. Indem man sich an einer zentralen Prämisse orientiert, kann man sichergehen, sich nicht im Wust von Nebenhandlungen zu verlieren. Bei der Überarbeitung ermöglicht sie es, unwichtige Handlungsstränge ausfindig zu machen und zu elimieren um bei all der Komplexität einen Text zu schaffen, der so schlank ist, wie er sein kann, muss und darf.
Aber: Intention, Thema und Botschaft sollten niemals treibende Kraft einer Geschichte sein. Wenn ich beim Lesen merke, dass der Autor mir seine Geisteshaltung aufdrücken will, oder bestimmte Charaktere aufgrund ihrer Gesinnung (sexuell, geistig, religiös) benachteilig oder übervorteilt um ein Statement zu machen, dass in der Geschichte noch dazu fehl am Platz ist, stößt mir das eher sauer auf, als dass es mich tiefer zieht.
Das Thema sollte stets etwas sein, das erst bei genauerem Hinsehen erkenntlich wird, das die einzelnen Elemente einer Handlung durchdringt und beeinflusst, ohne sie am Halsband in eine bestimme Richtung zu führen. Es sollte das besondere Etwas sein, das man für sich selbst erschließen, über das man mit Freunden diskutieren (und unterschiedlicher Meinung sein), das einer guten Geschichte den gewissen Funken verleiht, der sie zu mehr macht als einer gelungenen Kombination von Handlung, Charakteren und Sprache.