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Sonntag, 18. August 2013

Spielplatz I: Dishonored

Dass ich mal über den Tellerrand schauen wollte, hab ich ja schon mal angekündigt, heute ist es dann mal so weit. Ich hab kein gutes Buch gelesen, hab keine Zeit, mir große Gedanken ums Schreiben zu machen, aber es gibt einen Artikel, den ich schon seit längerer Zeit schreiben will.
Heute möchte ich euch ein Computerspiel nahe legen, dass vielleicht einer der besten Vertreter des Mediums ist, wenn es um die Darstellung einer Welt und das Erzählen von Geschichten geht: das 2012 erschienene Dishonored.
Eines vorweg: ich empfehle Dishonored nicht wegen seiner Handlung. Die ist leider nur allzu vorhersehbar und nur wenige Charaktere erlangen wirkliche Tiefe. Klingt  nach einem Widerspruch? Abwarten.

Copyright Bethesda Softworks

Dishonored ist ein Stealth-Spiel im Stile der grandiosen Thief-Reihe (die früher oder später auch mal hier landen wird). Das bedeutet, dass der Spieler in der Regel versuchen sollte, heimlich vorzugehen und Gegner zu umgehen. Im Gegensatz zu Thief kann Corvo, der stumme Protagonist des Spiels, es aber auch mit einer kleinen Anzahl von Feinden im offenen Kampf aufnehmen, wobei ihm nicht zuletzt eine Reihe von übernatürlichen Fähigkeiten helfen. Neben der Fähigkeit, über kurze Strecken zu teleportieren, kann Corvo Rattenschwärme herbeirufen, die Zeit verlangsamen oder sogar anhalten und besonders hoch springen. Diese Fähigkeiten müssen mit überall in den ausladenden Missionen versteckten Runen freigeschaltet werden. 
Zwar ist das Arsenal an offensiven Fähigkeiten größer als die auf Heimlichkeit ausgelegten (neben dem Blink-Teleport ist hier eigentlich nur die Sprungfähigkeit und der Zeitstopp nützlich), aber es ist möglich, das gesamte Spiel durchzuspielen, ohne auch nur einmal zu töten, sondern auch ohne entdeckt zu werden.
Das Spiel zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass es dem Spieler in seinen großen, offenen Levels viel Freiraum gibt seine Vorgehensweise selbst zu wählen. Greifen wir die Wachen direkt an um in das Gebäude zu kommen? Oder schleichen wir uns vorbei? Oder teleportieren wir von Dach zu Dach bis zum offenen Fenster im ersten Stock? Oder springen wir zu einem Balkon hoch? Oder nutzen wir die Possession-Fähigkeit um im Körper eines Fisches durch die Kanalisation in die Waschbereiche zu schwimmen? Oder doch ganz anders?
Diese Entscheidungsfreiheit, zusammen mit teils versteckten Nebenaufgaben macht auch mehrmaliges Durchspielen hochinteressant.


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Spielerisch ist Dishonored also wirklich intelligent und fordernd und die Vielfalt an Vorgehensweisen wird den Spieler motivieren. Doch die wahre Faszination, die Dishonored zu einem modernen Klassiker und einem atmosphärischen Meisterwerk macht, ist die Präsentation der Welt.
Denn Dishonored ist noch weiter von "klassischer" Fantasy entfernt als die Thief-Reihe, die es inspirierte. Das Setting ist absolut einzigartig. 
Dishonored präsentiert uns eine Welt, die an der Schwelle zum Industriezeitalter steht. Mit dem Fokus auf die Hauptstadt des Kaiserreiches der Inseln - die Stadt Dunwall - erlebt der Spieler eine Welt, in der neuartige Technologie erst kürzlich Arbeitsweisen und Gesellschaft verändert hat. Quelle dieser Entwicklung ist Walöl, das den mächtigen Tieren - die mit den Walen unserer Welt nur wenig zu tun haben - entnommen wird um alle Arten von Maschinerien zu betreiben. Fabriken, Schiffe, Waffen, Scheinwerfer, Lautsprecher, tödliche Lichtwälle - all dies wird von Walöl betrieben und die Walfängerei ist einer der größten Zweige der Industrie.
Doch bereits kurz nach Spielbeginn ist vom erblühenden Wohlstand nur noch wenig übrig. Die Kaiserin ist tot, der Lordregent herrscht mit eiserner Hand und eine pestähnliche Epidemie rafft Dunwalls Bürger zu hunderten dahin. Jetzt wird auch deutlich, welche gesellschaftliche Rolle die Technologie spielt: während die ärmeren Bürger in den Straßen sterben, verstecken die Reichen sich in ihren Villen hinter Schutzwällen aus Elektrizität und der unerbittlichen Stadtwache und geben sich ihren Gelüsten auf dekadenten Banketten hin. In diese Situation wird der Spieler hineingeworfen.
Und bald stößt er auf größere Mysterien, die das Fundament des modernen Dunwalls bilden. Der Outsider, eine enigmatische Gestalt, die sich als junger Mann mit tiefschwarzen Augen präsentiert, verleiht dem Spieler aus Neugier seine Fähigkeiten. Von vielen Menschen wird er im heimlichen verehrt und sie schnitzen ihm zu Ehren Anhänger aus Walknochen. Wo die mysteriösen Runen auftauchen, die mit seinem Zeichen versehen sind, ist Wahnsinn nie fern und die dunkelsten Seiten der Menschen kommen oft da zum Vorschein, wo sein Einfluss nicht weit ist. Und dann sind da auch noch die Hinweise, dass Dunwall nicht die erste Stadt an diesem Ort ist und dass auch in denen, die zuvor kamen, die Menschen den Outsider verehrten und mit ihm, die Herrscher der Meere, die gewaltigen, eigenartigen Wale. Und lasst uns nicht erst von Granny Rags reden, der alten Frau, die weitaus mehr ist, als eine Gruselgeschichte für Kinder und Erwachsene zugleich.


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Das alles bildet den Hintergrund für die Erlebnisse des Spielers und verleiht der Welt eine Tiefe, die gerade in den Blockbustertiteln des Mediums selten ist. Aber damit endet die Faszination Dishonoreds längst nicht. Denn das Spiel erzählt uns nicht einfach von seinen Geheimnissen. Der Spieler muss sie selbst finden.
Überall im Spiel sind Bücher verstreut, Nachrichten und Briefe. Hier schreibt ein Dockarbeiter über die widrigen Umstände seiner Arbeit, dort berichtet ein Wachmann von dem seltsamen Gefühl, das er hat, wenn er ein bestimmtes Gebäude passiert, ein Mitglied der Kirchenmiliz hält die verstörenden Bilder seiner Träume fest und in verlassenen Häusern steht in verschmierter Schrift geschrieben "Der Outsider wandelt unter uns!"
Es ist möglich, das Spiel durchzuspielen, ohne all diese kleinen Details zu entdecken, aber man muss sich anstrengen und beraubt sich selbst viel von der großartigen Atmosphäre. Denn Dunwall lebt, Dunwall atmet und zwar jahrtausendealte Mysterien, verstrickte Netze aus Intrige und Aberglaube, aus Gewalt und Verzweiflung.
Viele der Einzelheiten ergeben erst dann ein größeres Ganzes, wenn der Spieler seine Phantasie spielen lässt und Details eigenständig zusammensetzt. Dishonored ist voller Andeutungen und Halbwahrheiten, voller Verzerrung der Tatsachen durch Zeit und die persönliche Agenda von Adel, Kirche und Menschen. Und die besten Geschichten erzählt nicht die Haupthandlung, sondern das zufällig gefundenen Buch in der Ecke eines Raumes, in dem neben zwei Leichen ein Altar an den Outsider steht. Oder der Tagebucheintrag eines Dienstmädchens. Oder die Gedanken eines Obdachenlosen, die der Spieler mittels des mysteriösen Herzens lesen kann, das der Outsider ihm gibt. Und überhaupt, das Herz ...

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Dishonored nutzt die Methoden, die nur interaktiven Medien zur Verfügung stehen, perfekt. Es ist der Initiative des Spielers überlassen, wie weit er in die Welt eintauchen will und was er aus den Mosaiksteinen macht, die er findet. Ähnlich wie in den drei Thief-Titeln verleiht das der Welt Substanz und macht sie zu mehr als nur einer Kulisse. Und die wirklich erschreckenden und ergreifenden Einzelheiten erschließen sich nur, wenn man selber Verbindungen herstellt. Zusammen mit Deus Ex Human Revolution ist Dishonored damit ein Paradebeispiel um den Vorwurf zu entkräften, das digitale Medium eigne sich nicht um eine Geschichte zu erzählen. Das tut es sehr wohl. Im Gegensatz zu Büchern und filmen kann es nämlich eine Vielzahl von Geschichten zugleich erzählen und gleichzeitig dem Spieler in großem Maße überlassen, wie diese Geschichten lauten, wie sie ausgehen, was ihre Nuancen sind.

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Unterstützt wird all dies von einem einzigartigen Grafikstil, der comicartige Charaktere mit der Optik eines Ölgemäldes paart und in eine Welt wirft, in der der Stil des späten 19. Jahrhunderts auf Science-Fiction und Fantasy zugleich trifft, alles gewürzt mit einer kräftigen Prise Lovecraft.
Dabei sei eine Warnung ausgesprochen: Dishonored ist blutig, daran ändert die im Vergleich abstrakte Grafik wenig. In Kinderhänden hat es nichts zu suchen und mit seinen Themen und Ansprüchen richtet es sich an ein erwachsenes Publikum. Das legt aber auch der schwer zu übersehende rote USK-Aufkleber auf dem Cover nahe.
Aber wer ein herausforderndes Spielerlebnis sucht, das Kreativität bei Problemlösungen und Bereitschaft, sich auf eine faszinierende Welt einzulassen fordert, kann mit diesem Titel nichts falsch machen.

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Dishonored ist sowohl für die Xbox360 als auch die PS3 erhältlich, ich empfehle aber die PC-Version, die besser aussieht und sich um komfortabler steuern lässt. Inzwischen sind auch zwei kostenpflichtige Zusatzepisoden zum Download erschienen, The Knife of Dunwall und The Brigmore Witches. Beide erzählen eine zusammenhängende Geschichte um einen Nebencharakter aus dem Hauptspiel.

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