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Willkommen in der Weltenschmiede

Freitag, 19. Juli 2013

Über das Schmieden von Welten IV/2 - Konzepte & Ideen

Sehr geehrte Damen und Herren,
weiter geht es mit Teil 2 der aktuellen Serie. Nachdem es letzte Woche um die großen Ideen und Stolpersteine ging, möchte ich mich heute der Frage nach dem Wissenshorizont einzelner Charaktere widmen.
Eine kleine Anmerkung schicke ich voraus: (auch) in dieser Hinsicht bin ich extrem pingelig, noch pingeliger vielleicht, als bei anderen Angelegenheiten.

Dass ein Charakter nur Wissen über Ereignisse, Dinge oder Personen haben kann, mit denen er (im weitesten Sinne in Kontakt getreten ist, gehört ja eigentlich zu Fundament der Konsistenz eines jeden Textes. Timmy wird nur von den Alten Königen der westlichen Marken wissen, wenn ihm irgendwer einmal davon erzählt hat. Vielleicht hat seine Mutter ihm Märchen erzählt, oder ein Geschichtenerzähler ist eins durch Timmys Dorf gekommen. Oder aber, Timmy wohnt gar nicht in einem Dorf, sondern in einem Kloster und zwischen den unzähligen religiösen Texten finden sich auch Geschichtsbücher oder Legenden, die irgendein Mönch einst in ominösen Bänden gesammelt hat.
Cindy der Barbar hingegen ist ein Meister des Fallenstellens und kann vom Hasen bis zum Elephanten alles erlegen und häuten, das ihm in die Finger kommt, aber in der Stadt ist er aufgeschmissen und wenn die Schwarzen Inquisitoren ihn nach den Glaubensbekenntnissen der Weberleute fragen, kann er sich schon einmal darauf vorbereiten, auf dem Scheiterhaufen zu kokeln.
Kurz:
eben so, wie Ideen und Konzepte nur logisch in eine Welt eingefügt werden können, wenn sie eine Vorgeschichte haben, muss Charakterwissen stets an die einzelne Person und ihren Werdegang angepasst sein. Wer das gewissenhaft betreibt, dem steht frei, damit Spielchen zu treiben:
angenommen, Cindy der Barbar weiß doch von den Glaubensbekenntnissen, obgleich er seinen Gefährten gegenüber behauptet, nie in Weberland gewesen zu sein, öffnet das die Tür für Konflikte und Misstrauen, gar für neue Handlungsstränge. Und was, wenn Timmy, nach all den Jahren in der Klosterbibliothek, in der er die verpöhnten Legenden gelesen hat, in die Kaiserstadt kommt und als einziger in einem alten Steinrelief die Bestätigung einer Sage erkennt?

Das sind aber wiederum große Ideen und Konzepte, verglichen mit dem, worum es jetzt gehen soll. Seid gewarnt, jetzt wird es kleinteilig!
Vor Jahren schrieb ich einmal an einer Geschichte, die größtenteils aus der Perspektive eines Charakters erzählt wurde. Sein Name war zwar nicht Timmy, aber er stammte aus einem Kloster und fand eines Tages den Weg in eine große Stadt. Während der Unterschied zu seinem früheren Leben ihn sich unwohl fühlen ließ, war er dankbar, einen Freund bei sich zu haben, der ihm - gemeinsam mit den Erinnerungen an das Kloster - ein Anker in dieser neuen Umgebung war.
Moment mal, dachte ich. Das Kloster aus dem er stammt, liegt in einer bergigen Region, sein ganzes Leben hat er dort verbracht und obgleich er von Schiffen gelesen hatte - würde er wirklich in dieser Metapher denken?
Wäre es nicht angemessener für ihn, von seinem Freund als ein Turm zu denken, ein Orientierungspunkt in der auf- und absteigenden Landhschaft der Berge?

Im Gegensatz zu den eingangs (und letzte Woche) genannten Ideen handelt es sich hierbei nicht länger um bewusstes Wissen oder denken der Charaktere, sondern das Unterbewusstsein, die Art und Weise, wie sie die Welt wahrnehmen, ohne wahrzunehmen, dass sie derart wahrnehmen ...
Ich versuche seitdem, verstärkt auf so etwas zu achten, weil ich weiß, dass es mir auffiele, wenn ich es in einem anderen Buch lesen würde.
Also:
wie auch die Welt und ihre Errungenschaften und das bewusste Wissen von Charakteren eine Spiegelung der weltlichen und persönlichen Vergangenheit sein sollte, muss auch das Unterbewusste, das nebensächliche auf bereits Geschehenes zurückgreifen können.
Ein Seemann wird nicht denken, dies oder jenes sei so wertvoll wie Wasser in der Wüste, wenn er nie in einer Wüste war. Vielleicht denkt er, es sei so wertvoll wie Süßwasser inmitten des Ozeans. Nomadenvolk, die nur das flache Steppenland kennen, werden in einem heranrückenden Gewitter nicht als erstes Berge sehen, dafür vielleicht eine Stampede unruhiger Wildpferde. 

Samstag, 13. Juli 2013

In Eigener Sache 3: Judgement Day

Hallo alle zusammen,

eigentlich sollte hier ja schon gestern der zweite Teil der "Ideen & Konzepte"-Kurzserie online sein. Ich hatte mir das auch fest vorgenommen, aber leider sieht es momentan danach aus, dass es mir einfach an Zeit fehlt, jede Woche einen Artikel online zu stellen. Ich habe in anderthalb Monaten eine große Prüfung vor mir, deshalb hier eine Ankündigung:

bis zum 29.08, vermutlich sogar länger, werde ich nur noch alle zwei Wochen updaten.

Ich hoffe, ihr habt Verständnis.


Samstag, 6. Juli 2013

Über das Schmieden von Welten IV/1 - Konzepte & Ideen

Erst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass es letzte Woche keinen Beitrag gab. Ich hatte zu viel um die Ohren und mit einem Mal war schon Sonntag. Wäre mir dann allerdings diese Woche beinahe wieder passiert.
Heute gibts dafür den Anfang einer (erstmal) zweiteiligen Serie zum Thema Konzepte & Ideen. Was es damit auf sich hat? Das erfahrt ihr gleich.



Diese Woche sind Ideen das Thema.
Nein, ich diskutiere keine Handlungsideen, dafür hab ich selbst zu wenige (und bin zu geizig). Stattdessen will ich Ideen und Konzepte diskutieren, wie sie in einer Fantasywelt existieren können und welche Voraussetzungen sie mit sich bringen. In diesem Zusammenhang will ich mich auch mit Begriffen beschäftigen, deren Existenz in einer Fantasywelt, die sich von unserer abhebt, keinen Sinn machen - unabhängig von der kreativen Energie mit der der Autor versucht, sie zu rechtfertigen.
Diese Woche möchte ich mich mit den großen Ideen auseinandersetzen, die eine Welt lebendig machen oder sie zu Fall bringen können. Nächste Woche soll es dann mit einem kleineren Feld weitergehen, der Frage, was ein Charakter kennen kann und wie es sein Denken beeinflussen wird.

Fangen wir mit den großen Dingen an, also Konzepten, die aus dem Grundgerüst einer Fantasywelt herausstechen, weil sie bestimmte Voraussetzungen benötigen, die technisch, historisch oder logisch (noch) nicht vorhanden sind.
Einer der Klassiker ist mir erst kürzlich in einem Buch begegnet. Die Protagonistin (nennen wir sie Timma) wächst in einem kleinen Dorf auf - gewalttätiger Vater inklusive. An sich werden ihre Lebensumstände als typisch mittelalterlich beschrieben, Krankheiten, Armut und körperliche Arbeit werden ebenso erwähnt, wie der Umstand, dass der Vater monatelang von zuhause fort ist, nachdem er von der Armee zwangsrekrutiert wurde. So weit so gut.
Dann kommt dieser eine Satz und ich bin bereits nach knapp zwanzig Seiten versucht, mit dem Lesen aufzuhören:
In einem Nebensatz wird erwähnt, dass die Lehrerin der örtlichen Schule Timma zwar für schlau, aber auch für eine Träumerin hält.
Schule? Lehrerin? LehrerIN?
Sicher, Schulen gab es bereits bei den Sumerern und natürlich bei den alten Griechen. Die Existenz einer Schule in der Welt, die der Autor geschaffen hat, wäre also nicht unvorstellbar. Aber sie wäre sicherlich nur für diejenigen zugänglich, die genügend großes Einkommen hätten, für Adelige und – wenn die Standesbarrieren bereits erodiert sein sollten – für Kinder reicher Kaufleute. Dann fände man diese Schule aber sicher nicht in einem kleinen Dorf, in dem die Kinder arbeiten müssen, damit die Familie überleben kann. Um das zu untermauern braucht man sich nur einmal in der heutigen Welt umsehen: Kinder besuchen am seltensten dort Schulen, wo Armut herrscht und Familien auf jeden Pfennig (oder Cent, für die Jüngeren) angewiesen sind, den sie zusammenklauben können. Dort gibt es weder Zeit, noch Bereitschaft, Kinder freizustellen, damit sie Dinge lernen können, die sie in ihrem elenden Lebensumfeld gar nicht gebrauchen können.

Mönche in der Klosterschule

Schulbildung war bis zur Industrialisierung – und oftmals noch viel später – ein Vorrecht der Reichen und Mächtigen oder bestimmten gesellschaftlichen Klassen vorbehalten wie etwa Mönchen. Selbst Adelige lernten nicht selten weder Lesen noch Schreiben. 
Abgesehen davon, dass keine dieser Klassen in dörfischer Armut lebt, gab es aber noch eine Gemeinsamkeit: Es handelte sich ausschließlich um Männer. Noch unwahrscheinlicher also als Schulbildung für Dorfkinder ist Schulbildung für Dorfmädchen, gerade in einer Welt, in der Geschlechtergleichstellung nicht existent ist. Was dann auch die letzte Frage aufwirft: wo bitte kommt die Lehrerin her? Selbst in Adelsfamilien war es äußerst unüblich, Frauen irgendeine ausufernde Ausbildung angedeihen zu lassen – viele konnten weder Lesen und Schreiben. Diejenigen, die es konnten, fanden sicherlich nicht ihren Weg an Dorfschulen.
Das Beispiel zeigt, wie ein dahingeworfener Satz die Suspension of Disbelief für eine ganze Welt aushebeln kann. 
Damit die Umstände eintreten, die der Autor beschreibt, müsste seine Welt über eine einheitliche Herrschaft verfügen (tut sie nur bedingt), die Standesgesellschaft abgeschafft haben (hat sie nicht), Wohlstand für eine breite Masse der Bevölkerung bieten (tut sie nicht) und die sozialen und ethischen Grundüberlegungen für die Schaffung eines wie auch immer gearteten Bildungssystems getan haben (hat sie nicht). Oh – und die Gleichstellung der Geschlechter akzeptieren (dreimal dürft ihr raten). Dann kann auch Timma in die Schule gehen und von einer Welt träumen, in der Klischees eine gute Sache sind.
Kann sie aber nicht.

Wie Timmas Leben wohl eher aussah.

Andere Beispiele betreffen eher materielle Erfindungen. Lösen wir uns vom Buch:
Sagen wir, die Frau Lehrerin trägt eine Brille (tut sie nicht, jedenfalls wird es nicht erwähnt). Das bedeutet, die Welt, in der wir uns befinden, hat Glasbearbeitung gemeistert. So weit, so gut, Glasbearbeitung und -herstellung gibt’s schon seit knapp 3500 Jahren. Da war es aber noch zu milchig um groß was durch zu sehen. Perfektioniert wurde die Technik erst viel später, weshalb zur Herstellung von Sehhilfen oftmals konvex geschliffene Edelsteine verwendet wurden (sprich: teuer). Die erste Brille ist wohl gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstanden, war aber immer noch teuer und kaum verbreitet. Die erste Brille zur Korrektur von Sehfehlern wurde 1909 patentiert. In Massenproduktion – so, dass eine Dorflehrerin sich eine Brille leisten konnte – gingen sie wohl erst 1912. Nein, das sind keine Tippfehler.

Ein absoluter Klassiker aus der Reihe „Hab's geschrieben, aber nicht durchdacht“, betrifft Kommunikation über lange Distanzen.
Feldherr Timmy der Große, Retter des Weißen Kaiserreichs, ist an der östlichen Küste um die dort landenden Seeräuber zurückzuschlagen. Von einem tödlich verwundeten Feind erfährt er, dass die Invasion im Osten nur eine Finte ist. Der wahre Angriff soll zweitausend Meilen weiter nördlich erfolgen, wo Timmys große Liebe Schakkeline die Hauptstadt des Reiches verwaltet.
Schnitt zu Schakkeline, nächster Tag.
Sie hat soeben von Timmys Entdeckung erfahren und die kaiserliche Garde entsandt, damit sie den Seeräubern einen Hinterhalt legt. Den Göttern sei Dank, hat sie Timmys Nachricht rechtzeitig erhalten.
Äh … und wie bitte ist das vonstatten gegangen? Wenn es in der Welt keine magische Kommunikationsmethode gibt (oder die zuvor nicht erwähnt wurde), gibt es keine Erklärung, wie all die Meilen innerhalb eines Tages überbrückt werden konnten. Brieftauben? Die können zwar tausend Kilometer am Tag schaffen, realistischer sind aber maximal fünfhundert Kilometer, geeignetes Wetter vorausgesetzt. Kuriere? Brauchen länger, selbst mit ausgefeilten Postsystemen und das setzt voraus, dass die Seeräuber nicht irgendwo im Hinterhalt liegen um Reiter abzufangen und Vögel mit Pfeilen zu spicken.
Gut, sagen wir, es gibt eine magische Methode der Kommunikation. Warum versuchen die Seeräuber dann überhaupt ihre Ablenkung, wenn sie wissen, dass Nachricht von ihren Angriffen oder ihren Plänen innerhalb kürzester Zeit einen ganzen Kontinent überqueren können. Überhaupt: wieso hat eine so schnelle Kommunikation die Welt nicht bereits so weit verändert, dass der oberste Feldherr nicht mehr persönlich an der Küste auftauchen muss, sondern einem begabten Untergebenen per MagiCom Anweisungen erteilen kann?
Ist MagiComm selten? Gut, das könnte ich als Erklärung akzeptieren.

Twitter.

Wie bereits eingangs erwähnt wurde, setzen bestimmte Errungenschaften bestimmte Vorgänge und Entwicklungen voraus, die ihrerseits Einfluss auf die Welt um sie herum haben.
Schulen für Dorfkinder? Dann bitte auch ein Bildungssystems und Abkehr von der Standesgesellschaft. Brillen? Jemand sollte Glas bearbeiten können und genug Menschen lesen können. Langstreckenkommunikation? Entweder mit Magie oder mit massiven Nachteilen. Schießpulver? Wenn es lang genug bekannt ist, warum reiten dann immer noch Ritter in Plattenrüstung in die Schlacht? Frauenrechte? Dann sollte die herrschende Kirche besser keine andersartigen Vorstellungen haben.

Nächste Woche geht es dann mit einem stärker fokussierten Blick auf Charaktere weiter.